Kommunikation und Konflikt: Interkulturelle Kompetenz in Lern- und Arbeitsprozessen

Interkulturalität, Macht und Egalität

 

Tippawan Duscha

„Rassen existieren nicht, aber Rassismus kann in sozialen Praxen produziert werden“

(Stuart Hall: Rassismus als ideologischer Diskurs)

 

1. Die Problematik des Verstehens-Ansatzs in der interkulturellen Pädagogik

In der Interkulturellen Pädagogik besteht das Ziel, den „Anderen/Fremden“ zu verstehen. In diesem Kontext werden MigrantInnen als „Fremde“ konstruiert, deren Fremdheit durch ihre Herkunftskultur bzw. EinwanderInnenkulturen in der Aufnahmegesellschaft bedingt ist. Im Kulturverständnis wird Religionen eine wichtige Rolle zugeschrieben. Die Pädagogik fordert daher das Lernen, diese Fremdheit zu verstehen und zu akzeptieren. Demnach liegen die Konfliktursachen in der sogenannten Multi-Kulti-Gesellschaft in der kulturellen Differenz. Dialog und Verstehen soll an die Stelle von Gewalt treten. Die Verstehens-Bemühung schafft also das gute Gewissen. Hierin sehe ich die Verschiebung des realen Problems, nämlich die Machtstrukturen wie Rassismus/Sexismus und die Benachteiligung in rechtlichen, ökonomischen und sozialen Strukturen. In der aktuellen Diskussion zum Thema Interkulturalismus werden die Machtfragen systematisch ausgeblendet: (Vgl. Scherr 1992, 1997) Die Ausschließungspraxis gegenüber den gesellschaftlichen Ressourcen werden nicht als Ursachen der Marginalisierung gesehen.

 

Auch wenn es Ihnen jetzt ganz paradox vorkommt, hängt das Verstehen des Fremden historisch und aktuell gesehen viel mit Macht, Herrschaft und Kontrolle zusammen. Ethnologie ist das Paradebeispiel für eine Herrschaftswissenschaft, die während der Kolonialisierung der außereuropäischen Kulturen entstanden ist. „Verstehen, Nehmen und Zerstören“ : das war der Prozeß der Eroberung der Aztekischen Welt in Amerika. Im heutigen Deutschland tragen sozialwissenschaftliche Forschungen erheblich dazu bei, daß Migranten als kulturell Fremde wahrgenommen werden und deren Fremdheit die Ursache ihrer eigenen Benachteiligung ist. Es muß auch hinzugefügt werden, wann die Verstehens-Bemühung beginnt. Das Bemühen um Verstehen der MigrantInnen beginnt erst, wenn Arbeitslosigkeit und ökonomische Probleme auftauchen. MigrantInnen werden dann als Problemgruppe angesehen, die mit Deutschen um Arbeitsplätze, Kindergartenplätze usw. konkurrieren. Sie sind „Beobachtungs- und Forschungsobjekt“ als Angehörige der „Fremden Kulturen“ geworden. Und die „Fremdheit“ wird ihnen zugeschrieben.

Der Darmstädter Soziologe, Albert Scherr, hat zutreffend folgendes formuliert:

„Insofern kann das Verstehen machtunterlegener Fremder als eine kommunikative Praxis charakterisiert werden, die gerade nicht wechselseitige Verständigung im emphatischen Sinne ist, sondern eine kommunikative Markierung von Differenz, die Eigenschaften zuweist, die dann die Grundlage weiteren Handelns sind. Je besser man solche Fremde verstehen kann, desto geeignetere Mittel ihrer Beherrschung kann man entwickeln. und: Je genauer sie verstanden werden, um so fremder erscheinen sie. Denn der ethnologische Blick sensibilisiert für Unterschiede, macht sie sichtbar“.

 

Ich will mit meinem Beitrag jedoch nicht so verstanden werden, daß wir mit den Verstehens-Bemühungen jetzt aufhören, sondern diese fortführen und erweitern. Nämlich, das Verstehen der „Anderen“ stets im gesellschaftlichen Kontext ansiedeln, sowohl auf inländischen wie auf globalen Ebenen.

 

2. Vision: Radikale Demokratisierung

Diese Gesellschaft beansprucht für sich, daß sie eine demokratische Gesellschaft ist. Demokratie aber basiert auf dem Gleichheitsprinzip: Gleichheit von Differenzen. Abgesehen von der Ausgrenzung von knapp 10% der gesamten Bevölkerung von politischen und sozialen Rechten, werden die „anderen Religionen“ ungleich behandelt. Der Fall einer Muslima, die nicht in den Schuldienst als Lehrerin übernommen wurde, weil sie nicht bereit war, ihr Kopftuch wegzulegen. Ich betone ihre Funkton als Lehrerin, denn gegen kopftuchtragende Putzfrauen haben die Behörde ja nichts einzuwenden. Ich weise noch mal auf die Konstruktion der Fremdheit, um die Marginalisierung zu rechtfertigen. Die christlichen Nonnen und Priester haben die Privilegien, das Fach Religion in Schulen zu unterrichten. Günter Frankenberg, Prof. für öffentliches Recht an der Universität Frankfurt, hat zurecht auf das „systemwidrige Privileg“ des Christentums in Deutschland hingewiesen. (Vgl. Der Spiegel Nr. 30/98)

 

Quellennachweis:

Scherr, Albert, 1997: Die Konstruktion von Fremdheit in sozialen Prozessen. Überlegungen zur Kritik und Weiterentwicklung interkultureller Pädagogik, Darmstadt (unveröffentlichtes Manuskript umfaßt 17 Seiten)

Scherr, Albert, 1992: Bildung zum Subjekt in der multikulturellen Gesellschaft? in Grubauer, Franz (Hg.) : Subjektivität - Bildung- Reproduktion: Perspektiven einer kritischen Bildungstheorie, Weinheim: Deutscher Studien Verlag

„Die letzte Schlacht“: Durch den Streit um das Kopftuch einer muslimischen Lehramtsanwärterin ist die Frage nach dem Verhältnis von Staat und Religion erneut aktuell geworden: in „Der Spiegel“ Nr. 30/98, Seite 58-59

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Begriffe

Rassismus:

Der Rassismus ist ein strukturelles Phänomen. Das bedeutet, dass  ethnisch spezifizierte Ungleichheit in ökonomischen und politischen Institutionen, im Bereich von Bildung und  Erziehung und in den Medien wurzelt und durch diese Strukturen reproduziert wird. Dies gilt für die Niederlande, Deutschland, Großbritannien, Frankreich und möglicherweise auch für Italien. Um Ausmaß und Verbreitung des Rassismus in der Gesellschaft benennen zu können, muss man die hauptsächlichen gesellschaftlichen Institutionen untersuchen: die Medien, den Bildungsbereich, den Arbeitsmarkt, die Politik, das Rechtssystem und die Polizei.

 

Toleranz: Die Macht zur Tolerierung

Die Idee der Toleranz und ihre Ausübung unter Herrschaftsbedingungen muß in ihrer Beziehung auf Kontrollmechanismen in einem pluralistischen Gesellschaftsmodell begriffen werden. Das multikulturelle Modell  zieht nicht die Machtbeziehungen zwischen herrschenden und beherrschten Gruppen in Betracht.

 

Kontrollmechanismen, die der Idee des Multikulturalismus zugrunde liegen:

•    Die Unterscheidung zwischen denen, die „dazugehören“, und denen, die „nicht dazugehören“.

•    Repressive Toleranz.

•    Herrschende Werte als Norm für andere.

•    Kulturelle Verleumdung.

•    Vorgebliche Unveränderbarkeit der nationalen Traditionen.

(Philomena Essed: Multikulturalismus und kultureller Rassismus in den Niederlanden, in „Theorien über Rassismus,“  Argument Verlag, Hamburg 2000)