Einsprüche – Widersprüche - Ansprüche

Menschenrechte aus der Süd-gender-Perspektive

Tippawan Duscha

-Haben Menschenrechte (k)ein Geschlecht, Klassen und „Rassen“?
-Frauenrechte sind Menschenrechte?

-Dialektik der Menschenrechte?
-Sei realistisch und verlangt das Unmögliche!



„Weltweit leisten Frauen 2/3 aller Arbeit, erhalten aber nur 1/10 des Welteinkommens und kontrollieren nur 1/100 der Produktionsmittel“. (UNO, 1980)

Das war das Resumee über die wirtschaftliche und soziale und wirtschaftliche Lage der Frauen vor knapp dreißig Jahren. Seitdem hat sich die Situation der marginalisierten Frauen weltweit eher verschlechtert als verbessert. Von der „Feminisierung der Armut“ kann gesprochen werden, da 70% der Armen weltweit Frauen sind, laut Angaben des Entwicklungsprograms der UNDP - United Nation Development Program (Vgl. Fian-Nr. 1/98: 4). Im Februar 1996 gab die UNO-Abteilung für öffentliche Information die absoluten Zahlen der Armut bekannt:

„Über eine Milliarde der ärmsten Menschen der Welt, die meisten von ihnen Frauen, Kinder, alte Menschen, Behinderte, Angehörige der Urbevölkerung, WanderarbeiterInnen und Flüchtlinge, leben von weniger als 1 US-Dollar am Tag“
(Brot für Welt, 1998: 20)

Neben der Kluft zwischen den Geschlechtern existiert die Kluft zwischen Nord und Süd, die in den letzten 30 Jahren verdoppelt hat. Malak El-Chichini aus Ägypten hat auf der Weltkonferenz über Menschenrechte 1993 in Wien in ihrem Vortrag „Frauen treten ein in eine Welt, in der es den Skandal der Armut gibt“, die Zahlen benannt:

„In den 60er Jahren betrug die Differenz zwischen den 20 Prozent der reichsten Menschen in den Industrieländern und den 20 Prozent der ärmsten Menschen in der Welt 1:30. Heute, 30 Jahre später, ist die Differenz 1:60.“
(GEP, 1993: 82)

Aber auch im Zentrum der globalen Macht, der westlichen Welt, gibt es solche Armut: In den USA sind mindestens 30 Mio. Menschen vom Hunger betroffen. Das Pro-Kopf-Einkommen der Schwarzen Bevölkerung ist vielfach niedriger als das der weißen Bevölkerung. So ist auch die Lebenserwartung der schwarzen US-Amerikanerinnen nicht nur niedriger als die weißen Landmänninnen, sondern auch als die Inderinnen aus dem Staat Kerala. (Vgl. Sen, 2000: 34-35) Diese Zahlen machen deutlich, wer die Mehrheit der Betroffenen sind, wenn über die Menschenrechtsverletzungen der sozialen und wirtschaftlichen und kulturellen Menschenrechte gesprochen wird. Die Grenzen verlaufen entlang der Markierungen von Differenzen: Geschlechter, Nord-Süd, Ethnien, Klassen und „Rassen“. Um so erstaunlicher ist es, daß die Differenzen - z.B. die Geschlechtersdifferenz im hiesigen Diskurs über soziale Menschenrechte keine wichtige Rolle spielt. Diese „Genderblindness“ und „Colourblindness“ begleiten ständig den Mainstream-Diskurs über Menschenrechte. Es ist bestimmt kein Zufall, daß die meisten Gefangenen, die in Todeszellen in den USA sitzen, Schwarze Männer sind. Dieses Beispiel zeigt die Verflechtung zwischen den zwei Pakten von Menschenrechten auf: den politischen und sozialen. In der BRD gibt es einen nationalen Armutsbericht, ein solcher Bericht existiert auch in einigen Städten. Ethnisierung und Feminisierung der Armut ist die Tendenz. Der Anteil von Migrantenfamilien und von Frauen, die Sozialhilfe beziehen, ist sehr hoch. Die Ursachen der Armut der Frauen sind Scheidungen und Alter. Die Arbeitslosigkeit verursacht die Armut der Migranten. „Ausländer“ werden eben zuerst entlassen. Sie haben kein politisches Recht, sind nicht gleichgestellt mit den „Inländern“. Inländische Frauen sind formell gleichberechtigt, aber Reproduktionsarbeit von Frauen wird eben nicht entlohnt, das Ergebnis ist Altersarmut. Das System in der BRD bevorteilt und subventioniert weiterhin die Hausfrauen-Ehe ohne Kinder und geht davon aus, daß sie „lebenslänglich“ hält! Die Rechte der Flüchtlinge in der BRD insbesondere im Gesundheitswesen werden beschnitten. (Fian-Magazin-Nr. 2/1999:6) Ihre Kinder haben kein Recht auf Bildung. Der Schutz der Familie ist nicht gewährleistet.(Fian-Magazin-Nr. 2/99, S. 7) Die BRD verstoßt sogar die Genfer-Flüchtlingskonvention durch die auferlegte „Residenzpflicht“ für die Flüchtlinge. (Vgl. Frankfurter Rundschau-Bericht am 12.10.2000, S.4: Wer ohne Erlaubnis woanders hinfährt, muß zahlen oder fliegt raus - Ein Asylbewerber steht vor Gericht, weil er gegen die „Residenzpflicht“ verstoßen hat/UNHCR rügt deutsche Regelung) All diese empirisch widersprüchlichen Befunde werfen die Frage auf: sind die Menschenrechtsdiskurse nur Rechtfertigungsinstrumente zur Durchsetzung von Interessen dominierender westlicher Nationen in der Welt? In eigenem Land kommen sie der Pflicht nicht nach, die Menschenrechte umzusetzen, obwohl sie wirtschaftlich in der Lage sind, dies zu tun. Die USA hat den sozialen Pakt erst spät (1996) unterzeichnet, war aber kein Mitglied der IPWSKR –Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte. (Vgl. Winfuhr, 1997: 15) Diese Widersprüche geben uns Anlaß über die Genese der Menschenrechte zu analysieren.

Wessen Menschenrechte waren es und von welchem Menschenbild gingen sie aus?
Haben Menschenrechte (k)ein Geschlecht, Klassen und „Rassen“?


Hier zitiere ich das Interview mit der ghanaischen Professorin an einer kanadischen Universität, Dr. Rose Baaba Folson:
„In heißen Ländern reift der Mensch früher, aber nicht zur Vollkommenheit. Vollkommenheit gibt es nur bei den Weißen, die Neger stehen viel tiefer“ ist eine Erkenntnis des Philosophen Kant. „Und der Aufklärer Hegel beschrieb Afrika als „geschichtlosen, unaufgeschlossenen Kontinent ohne Bewegung und Entwicklung.“
Und zum Beleg für die Kontinuität rassistischer Denkschablonen führt sie noch ein Zitat des früheren Verfassungsrichter Zeidler von 1986 an:
„Billigt man den Schwarzen volle Gleichberechtigung zu, dann ist das, als wenn man einem drei Tage alten Säugling Rumpsteak und Pommes Frites zu essen gibt.“
(Südströmungen Dokumentation, 1995: 65)

Entwicklung erscheint für Hegel als prozesshafter Vorgang, der stets vom Einfachen zum Komplexen fortschreitet. In seinen Grundprinzipien des allgemeinen Prozesses der Weltgeschichte unterscheidet er drei Stufen mit dem Kriterium der klaren Trennung zwischen Natur und Kultur. Demnach ist die unterste Stufe die "Versunkenheit des Geistes in die Natürlichkeit". Der höchste "Stufengang der Entwicklung" ist das Bewußtsein des Freiheitsbegriffs. Der Staat ist dann der Garant der Freiheit. Staat, schriftliche Sprachen und Geschichtsschreibung sind die Merkmale der Entwicklungsstufe zwei. Doch nicht jedes "Volk" kann die Entwicklungsstufe drei erreichen. Denn im Sinne seines Begriffes "Welthistorische Völker" sind wir so tief unterschiedlich in der Vernünftigkeit. (Vgl. Kößler, 1998, S. 32f)

Solche Gedanken der Aufklärung prägen die westliche Zivilisation. Dies ist eventuell die Antwort auf die Frage: Warum war es möglich, die Intensivierung der Kolonisierung der außereuropäischen Welt zu rechtfertigen, nachdem Europa doch schon „aufgeklärt“ worden war? In diesem Kolonisierungsprozess spielten die „Erziehung und Hebung“ anderer „Völker“ eine wichtige Rolle. Die Missionierung übernahm dabei die Funktion der „inneren Kolonisierung“ Hand in Hand mit der wirtschaftlichen. Es liegt auf der Hand, daß zu der Zeit der französischen und amerikanischen Revolution, als die Menschenrechte erklärt wurden, alle Frauen und nichtweiße Männer nicht in die Kategorie „Menschen“ aufgenommen wurden: Sie wurden aus den Menschenrechten ausgeschlossen. (Vgl.Weedon, 2000) Als die allgemeine Erklärung der Menschenrechte 1948 nach dem zweiten Weltkrieg unterschrieben wurde, blieben die meisten kolonisierten Länder der Erde noch weiterhin Kolonien. Viele dieser Länder mußten Unabhängigkeitkriege gegen die europäischen Kolonialmächte und die USA führen, um ihre Menschenrechte zu bekommen z.B. Vietnam, Indonesien und Algerien. Dies obwohl die kolonisierenden Länder die o.g. Menschenrechtserklärungen unterschrieben haben. Diese Geschichten mögen westliche MenschenrechtlerInnen den Luxus des Vergessens genießen, aber nicht die zu Objekten gemachten Menschen und Völker. Der Doppel-Standard oder die Doppelmoral des Westens setzen sich während des kalten Krieg fort. Menschenrechte werden als Waffen gegen die „zweite Welt“ eingesetzt, während die USA und der Westen die Diktatoren in der „dritten Welt“ tatkräftig mit Waffen und Kapital unterstützten. Menschenrechte werden instrumentalisiert, zur Legimitation der Intervention. Das letzte Beispiel zeigte der „Krieg für Menschenrechte“ der NATO in Korsovo!

Diese Aufzeichnung des Genesis der Menschenrechte dient dazu, zu verdeutlichen, dass „das scheinbar„universelle“ Konzept von Menschenrechten und Freiheiten, welches heute von den Machtzentren des Westens gefördert wird, auch nur ein partikulares Wertsystem darstellt, mit einer besonderen Entwicklungsgeschichte, und das innerhalb eines bestimmten Diskurssystems fungiert, nämlich des liberal-demokratischen, säkularen Kapitalismus.„ (Noor, Farish 1996:14)

Menschenrechtsdiskurs muß deshalb stets innerhalb der Machtsdimension geführt werden, sonst wird er lediglich zur Menschenrechtsrhetorik verkommen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Ziele von Menschenrechten verneint werden sollten. Im Gegenteil, die Menschen, die keine anderen Rechte haben, müssen sich auf Menschenrechte berufen und sie einfordern können.

Aber die Ideen von Menschenrechten sind nicht nur im christlichen, westlichen Kontext zu finden. Noch vor der Geburt Christi hat der große buddhistische Kaiser Ashoka von Indien das Verbot der Folter verhängt. (Vgl.Nair, Ravi, 1996: 21) Im 12. und 13. Jahrhundert ließen die großen Könige von Kandy (Sri Lanka) die Todesstrafe aufheben. In der Zeit tobte in Europa die Hexenjagd und die Inquisition. Noch vor der Menschenrechtserklärung 1948 kämpfte Mahatma Gandhi für Menschenrechte gegen britischen Imperialismus in Südafrika. (Nair, Ravi, 1996: 22)

Im Buddhismus gibt es keinen gerechten Krieg, weil jeder Form des Tötens schlecht ist und sich auf jegliche Form von Leben bezieht. Unter det sozialen Rechten könnte die folgende Ausführung eingeordnet werden. Denn eines der Ziele des Buddhismus ist es, sich vomHabgier zu befreien. Habgier oder Macchariya in der buddhistischen Terminologie wird so definiert:

„...,..Habgier oder Geiz äußert sich in fünf Bereichen 1. Landbesitz 2. Machtansprüche innerhalb von ethnischen und religiösen Gruppen und von Familien 3. Materieller Wohlstand 4. Hautfarbe, sozialer Status, Klassen oder Kastenzugehörigkeit 5. Wissen
Die Menschheit sollte sich von Machtansprüchen in allen fünf Bereichen befreien....“

(Sivaraka, Sulak, 1996: 18ff)

An-Erkennung und Ein-Beziehen der Anderen Kulturen in den Menschenrechtsdiskurs ist wünschenswert. Das bedeutet auch, daß der Grundsatz, daß „alle Partikularismen auch Universalismen und alle Universalismen wiederum auch Partikularismen sind.“, verankert ist. (Noor, Farish, 1996:12)

Frauenrechte sind Menschenrechte?

Diese Kritik und der historische Rückblick hindern die Marginalisierten der Welt nicht daran, diese Rechte für sich zu nutzen und einzufordern. Weiße westliche Frauen haben für ihre Bürgerrechte, Rechte auf Bildung und soziale Rechte gekämpft. Die Kolonisierten bedienten Menschenrechte für ihren Kampf um die Unabhängigkeit von Kolonialmächten. Sich im Rechtsdiskurs zu bewegen, heißt auch sich in den männlich definierten Raum zu begeben. Denn durch die Trennung zwischen privaten und öffentlichen Rechten sind z.B. Gewalt gegen Frauen im privaten und im öffentlichen Raum (z.B. Frauenhandel/Vergewaltigung) nicht als Menschenrechtsverletzungen „anerkannt“. Daß Gewalttaten an Frauen erst nach langem Kampf der internationalen Frauenbewegungen als Menschenrechtsverletzungen auf der Weltkonferenz über Menschenrechte in Wien 1993 anerkannt werden, zeigt, daß es nicht leicht ist, in der von Männern dominierten Weltgesellschaft die Definition des Verbrechens aus der Perspektive der Frauen auszulegen. Aber sie haben es geschafft. In dem Abschlußdokument: Wiener Erklärung und Aktionsprogramm, 25.6.93, steht:
„38. Vor allem aber hebt die Weltkonferenz über die Menschenrechte hervor, wie wichtig es ist, auf die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen im öffentlichen und privaten Leben, auf die Beseitigung aller Formen sexueller Belästigung der Ausbeutung der Frau und des Frauenhandels, auf die Beseitigung geschlechtsspezifischer Benachteiligungen im gerichtlichen Verfahren und auf die Behebung allfälliger Konflikte zwischen den Rechten der Frau und den schädlichen Auswirkungen bestimmter traditioneller oder üblicher Praktiken, kultureller Vorurteile und des religiösen Extremismus hinzuwirken. Die Weltkonferenz über Menschenrechte ruft die Generalversammlung dazu auf, den Entwurf der Erklärung über Gewalt gegen Frauen zu genehmigen und legt den Staaten dringend nahe, Gewalt gegen Frauen im Sinne der Bestimmungen der genannten Erklärung zu bekämpfen. ....“
(GEP. e.V. epd-entwicklungspolitik: Materialien IV/93: 135)

Für Frauen in der „dritten Welt“ sind schon immer die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte ihre Hauptforderung. Während die westliche Schwester das Thema „häusliche Welt“ mehr in den Vordergrund stellten.

„Wir können es uns nicht leisten, nur von bürgerlichen und politischen Freiheiten zu sprechen. Wir können es uns nicht leisten, uns nur mit Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung zu beschäftigen. Wir können es uns nicht leisten, die Menschenrechte aufzuteilen. Die Rechte der Frauen auf Fairneß, persönliche Sicherheit und Integrität sind so wichtig wie die ökonomischen Rechte auf Nahrung, Arbeit und Gesundheit.“
( Elaine Hewitt aus Barbardos: auf dem „Globalen Tribunal gegen Menschenrechtsverletzungen an Frauen“ behandelt wurden, das auf der UN-Weltmenschenrechtskonferenz 1993 abgehalten wurde. GEP. e.V. epd-entwicklungspolitik: Materialien IV/93:48)

Die Einteilung von Menschenrechtskategorien entspricht nicht den Realitäten von Frauen, in denen die Unrechtserfahrungen verwoben sind. Ein Beispiel hierfür ist das Phänomen Frauenhandel: Aufgrund der sozio-ökonomischen Ursachen werden Frauen aus dem Süden und Osteuropa gezwungen zu migrieren und werden dadurch häufig Opfer vom internationalen Frauenhandel (Zwangsprostitution, Zwangsheirat und Zwangsarbeit in der Produktions- und Reproduktionsarbeit). In diesem Bereich kämpft die GAATW (Global Alliance against Traffic in Women) für Human Right Standards für die Behandlung der Opfer und die entsprechenden Änderungen der Rechtsauffassung und Konventions. Es geht auch um Definition- und Interpretationsmacht. In diesem Problem sind verschiedene Arten von Menschenrechtsverletzungen vereinigt. Viele sehen den Zusammenhang zwischen der Marginalisierung der Menschenrechte von Frauen und der sozio-ökonomischen Rechte:

„Beide sind im internationalen Menschenrechtsdiskurs die „anderen“ Rechte. In der Realität bewirkt diese Kombination die Aufrechterhaltung der Unterordnung von Frauen. Vor dem Hintergrund der Kritik am Gesellschaftsvertrag könnte daher sogar überspritzt formuliert werden, daß die Erstgenerationsrechte traditionell und ideologisch als Männerrechte die wichtigeren Rechte sind, und die Zweitgenerrationsrechte, insbesondere die sozialen Rechte, als Frauenrechte nachrangig sind“
(Wölte, Sonja, 1998:39)

Die inhaltliche Kritik auf die sozialen Rechte zielt auf die androzentrischtische Definition:
„Das Recht auf Arbeit bezieht sich z.B. nur entlohnte Arbeit, es erkennt die verschiedenen Formen informeller und reproduktiver Tätigkeiten von Frauen nicht als Arbeit an. Geschlechtsspezifische Probleme, wie mangelnde Kinderbetreuung, Gewalt am Arbeitsplatz, stereotype Berufsbilder oder formelle wie informelle Hindernisse für die Ausübung einer Berufstätigkeit spielen in der Auslegung des Rechts auf Arbeit ebensowenig eine Rolle“
(UN Division for the Advancement of Women 1997, §§46ff., nach Wölte, S.39)

Auch in der Definition des Rechtes auf Entwicklung bleiben die Arbeit und gesellschaftliche Rolle von Frauen im Entwicklungsprozeß unsichtbar. Akua Kuenyehia forderte, nachdem sie die Auswirkungen von Strukturanpassungsmaßnahmen auf Frauen in Ghana untersucht hatte, eine Re-Definition alller wirschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte. Die Unrechtserfahrungen von Frauen müssen zum Ausgangspunkt der Re-Definition von Rechte gemacht werden. (ebd.)

CEDAW – Die Frauenkonvention ist das einzige Völkerrechtsdokument, das die Verflechtung der Diskriminierung von Frauen im Privaten, sozio-ökonomischen und politischen Bereich anerkennt. Wie andere Konventionen auch, bedarf es effektivere Kontrollinstrumente.

Dialektik der Menschenrechte?

Wir befinden uns in einer paradoxen Situation. In den letzten 15 Jahren sind die Fortschritte der Menschenrechte und die Demokratisierung, verbunden mit der Liberalisierung der Wirtschaft der Zweidrittel Welt, zu verzeichnen. Die andere Seite der Medaille ist jedoch die zunehmende weltweite Verschärfung der Armut, die Verletzung von sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechten. Im Zug der wirtschaftlichen Globalisierung kann dies nur eine logische Konsequenz sein. Denn sie baut auf die billigen weiblichen Arbeitskräfte in den „Weltmarktfabriken“ im Süden und in Osteuropa auf, deren soziale und wirtschaftliche Rechte in Freihandelszonen verletzt werden. Soziale Menschenrechte und Rechte der Frau müssen eine gute Allianz bilden und sich auf einander beziehen. Die beiden Rechte benötigen eine individuelle Beschwerdemöglichkeit und bessere Kontrollinstrumente, um diese Rechte zu stärken.

Sei realistisch und verlangt das Unmögliche.....

Die Vision von Frauennetzwerk aus Asien, Afrika und Lateinamerika, DAWN (Development with women for a new era) erfordert Transformation der Weltgesellschaft zur Gleichheit aller Menschen, die Anerkennung der Differenz voraussetzt. Daher ist der Begriff Selbstbestimmung wichtig. (DAWN: 1987:149f) 1985 haben sie bereits folgendes analysiert:

„Angesichts dieser Konzeption von Feminismus entwickeln wir hier eine duale Vision der Gesellschaft. Da armen Frauen in unseren Überlegungen die zentrale Rolle zukommt, müssen sowohl Armut wie geschlechtsspezifische Unterdrückung durch unsere Vision verändert werden. Was Armut betrifft, so liegen ihre strukturellen Wurzeln in der Ungleichheit des Zugangs zu Ressourcen und der Kontrolle über Produktion, Handel, Finanzen und Geld sowie in Geschlechter-, regionalen und Klassenunterschieden, die die nationalen Grenzen überschreiten. Wir sind uns wohl bewußt, daß in Anbetracht der ungeheuren Kluft, die zwischen arm und reich besteht, und die tendenziell eher zu- als abnimmt, eine baldige Veränderung dieser Strukturen alles andere denn wahrscheinlich ist. Aber dennoch müssen wir ein Bild von der Welt, wie wir sie uns wünschen vor Augen haben.
Wir wollen eine Welt, auf der jedes einzelne Land sowie die Beziehungen zwischen allen Ländern frei sind von jeder Ungleichheit, die sich auf Klasse, Geschlecht oder Rasse gründet. Wir wollen eine Welt, in der Grundbedürfnisse zu Grundrechten werden und in der Armut und alle Formen von Gewalt abgeschafft sind. In dieser Welt soll jeder Mensch die Möglichkeit haben, all ihre oder seine Leistungs- und schöpferischen Fähigkeiten voll und ganz zu entfalten und zu entwickeln, und weibliche Werte wie Fürsorge und Solidarität sollen zu einem Kennzeichen menschlichen Beziehungen werden . Auch die reproduktive Rolle der Frauen wird eine Neudefiniiton erfahren; Männer, Frauen und die Gesellschaft als ganzes werden sich die Aufgaben der Kinderversorgung teilen. Wir wollen eine Welt, in der immensen Ressourcen, die gegenwärtig zur Produktion von Vernichtungsmitteln genutzt werden, in Bereiche gelenkt werden, in denen sie der Aufhebung von Unterdrückung im privaten wie im öffentlichen Raum dienen können“.
(ebd. S.150)

In diesem Zusammenhang hat sie die Begriffe „Empowerment“ und „Gender“ eingeführt :

„Empowerment formulierte eine Vision nicht nur individueller Autonomie, sondern es erstreckte seinen Transformation einfordernden Anspruch auf die Innenarchitektur des Geschlecherverhältnisses selber. Mit dem Begriff gender war eine herrschaftskritische Kategorie eingeführt, die nicht bei der bloßen Konstatierung von geschlechtspezifischen Rollenzuweisungen stehen blieb, sondern auf der Anerkennung von im Geschlechterverhältnis eingelagerten Unterordungs- und Unterdrückungsbeziehungen und deren Aufhebung bestand. Aus diesem Anspruch heraus, so die Forderung, sind Ziele und Umsetzungsmodalitäten entwicklungspolitischer Interventionen und ist nicht zuletzt die Perspektive eines neu zu konturierenden Entwicklungsmodells zu entwerfen“
(Von Braunmühl: 1997:5)

Um diese Transformationsvision näher zu kommen, müssen die „harten“ wirtschaftlichen Weltorganisationenen wie Welthandelorganisaion (WTO), Internationaler Währungsfond (IWF), Weltbank u.a. mit Menschenrechts-/Frauenrechtskategorien evaluiert werden. Bisher werden Menschenrechte/Frauenrechte in deren Arbeiten völlig ausgeblendet. Vor allem Frauen aus dem Süden sind Vorreiterinen in diese Richtung und engagieren sich auf regionalen Foren. In ihrem Konzept haben sie den Menschenrechtsbegriff in einen ökonomischen und ökologischen Kontext eingebettet, der die Probleme der Frauen, Landbevölkerung und indigener Völker beinhaltet. Dieses Konzept könnte Meilenstein sein für einen umfassenden Menschenrechtsbegriff im Menschenrechtsdiskurs, der hoffentlich dann Eingang in die internationalen Wirtschafts-, Handels- und Finanzpolitik finden wird.

Literatur:

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Brock, Lothar (Hg.) in Verbindung mit der EKD (1996): Menschenrechte und Entwicklung; Beiträge zum
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Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.) (1995): Menschenrechte, Dokumente und Deklarationen, Bonn

DAWN und Satzinger, Helga 1987: Das DAWN-Papier: Morgenrot für die Feminisierung der Entwicklung? In: Peripherie Nr 25/26, Seite 143-163

Delmas-Marty, Mireille 1999: Die Eroberung der Menschenrechte: Die größte Tragödie der Völker ist die Armut. In: Frankfurter Rundschau, Dokumentation, am 16. August 1999, Seite 8.

Duscha, Tippawan (1997): Globalisierung und Menschenrechtsverletzungen an Frauen in: DEAE (Hg.): forum EB Nr.4/97, S. 11-18, Karlsruhe

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Food First Informations- & Aktionsnetzwerk, Sektion Bundesrepublik e.V., Herne: Fian Magazin Nr. 1/98: 50 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Herne

Food First Informations- & Aktionsnetzwerk, Sektion Bundesrepublik e.V., Herne: Fian Magazin Nr. 2/98: 50 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Herne

Food First Informations- und Aktionsnetzwerk, Sektion Bundesrepublik e.V., Herne (1997) Fian Magazin Nr. 2/97: Hunger in den USA, Herne

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